Jesajas Geschichte
Hallo ich heiße Margit und bin Mutter von 3 Kinder. Leider verstarb mein 3 .kind am 18. Tage nach seiner Geburt. Diese Geschichte möchte ich gerne für euch, aber auch für mich zum verarbeiten meiner unbeschreiblichen Trauer festhalten.

Es war nicht geplant, jedoch immer wieder erhofft, schwanger zu sein. Da ich keinerlei Verhütung einnahm, war es auch nicht ganz auszuschließen. So war es für mich keine große Überraschung,daß ich meine Tage im Okt.05 nicht bekam. Aber ich freute mich riesig, schwanger zu sein. Der Test aus der Apotheke war eindeutig. Die Schwangerschaft wurde am 04.10.05 vom Frauenarzt bestätigt. Voraussichtlicher Geburtstermin am 08.06.06. Die Freude bei uns zu Hause war riesengroß. Ich kaufte von Anfang an fleißig ein, denn wir hatten nichts mehr von unserem letzten Sohn aufgehoben. Alle Untersuchungen waren in Ordnung, unser Kleines wuchs und gedieh prächtig. In der 19. Woche gab mir mein Frauenarzt eine Überweisung für die Uni-Klinik Homburg ,um eine genauere Ultraschalluntersuchung durchzuführen. Der Grund dafür war mein Alter (39). Zu dieser Untersuchung gingen mein Mann und ich gemeinsam hin, um eventuell zu sehen, ob wir wieder einen Junge oder doch mal ein Mädchen bekommen würden. Bei dieser Untersuchung gab es überhaupt keinen Anlaß zur Sorge, denn es war immer alles in Ordnung gewesen. Die Oberärztin begann die Ultraschalluntersuchung, ohne viel zu reden. Wir mussten nur das Formular unterschreiben, in dem darauf hingewiesen wird, was bei dieser Art der Voruntersuchung alles festgestellt werden kann. Während der Untersuchung, wurde es sehr still, man merkte, daß etwas nicht in Ordnung war. Mein Mann und ich warteten darauf,daß die Ärztin endlich etwas sagte, damit die Stille verschwand. Dann dieser Satz, ihr Kind hat ein komplexen Herzfehler, wahrscheinlich ist es nicht lebensfähig, schwerstbehindert und und und...

Die restlichen Sätze verschwammen in meinen Tränen. Ich lag da auf der Liege ohne ein tröstendes Wort. Mein Mann saß im Behandlungsraum in der Ecke auf dem Stuhl und fehlte mir in diesem Moment sehr. Ich fühlte mich alleine und leer. Es war als wäre ich betäubt. Ich fühlte mich ohnmächtig. Die Ärztin riet uns zur einer Fruchtwasseruntersuchung, um Chromosomenschäden auszuschließen, zu der ich zustimmte. Angeboten wurde uns dann auch, einen Abbruch vorzunehmen, was für mich wie ein zusätzlicher Schock war. Abbruch nur weil ein Kind eine Behinderung hat? Zur Fruchtwassseruntersuchung durfte dann mein Mann an meine Seite kommen, um mich zu unterstützen. Ich hielt seine Hand ganz fest vor Schmerzen und hatte dabei grosse Angst. Endlich fertig und die Ärztin verschwand aus dem Zimmer, erwähnte noch, wir sollten in 14 Tagen wiederkommen. So einer unpersönlichen Ärztin war ich noch nie begegnet. Alleingelassen mit all den Informationen, Gedanken und der Angst: „Abbruch“, „nicht lebensfähig“, “schriftlicher Befund, zu wieviel Prozent es welche Behinderungen aufgrund des Herzfehlers haben kann“ und und und...

Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Wir gingen zum Auto und fuhren im Schockzustand nach Hause. Die 14 Tage des Wartens auf das Ergebnis waren eine schreckliche Zeit. Die Angst, das Kind zu verlieren, war unvorstellbar. Zu Hause konnte ich in dieser Zeit keinen klaren Gedanken fassen, nur traurig sein. Für uns war es von Angang an klar, wenn es eine Behinderung hätte, wo wäre es dann besser aufgehoben als bei uns. Ich arbeitete schon seit 17 Jahren in einem Wohnheim für Behinderte und mein Mann in einer Tagesförderstätte für Behinderte. Es würde geliebt mit all seinen Fehlern. Nach 14 Tagen endlich das Ergebnis: Alles war in Ordnung, keine feststellbare Chromosomenschädigung und zu 100 % ein Junge. Trotzdem hätten wir uns, weil er einen komplexen Herzfehler hatte, noch zum Abbruch entscheiden können. Und das in der 22. Woche. Unvorstellbar!

Gedanklich schlossen wir mit dieser Frauenärztin ab und kümmerten uns um vorgeburtliche Untersuchungen, um genauere Erkenntnisse des Herzfehlers. In der Kinderherzchirurgie bekamen wir auch schnell einen Termin. Die Diagnose war erschreckend, obwohl wir sie schon kannten, denn wir beteten stets zu Gott und baten und hofften auf Heilung. Wie kompliziert das Herz aufgebaut war, wieviel Arterien nicht angelegt waren oder falsch lagen, für uns Laien kaum zu verstehen. Jedoch waren wir mit dieser Ärztin ebenfalls nicht zufrieden, denn diese sprach nur von Statistiken und nicht von unserem Baby. Da wir nicht mehr den Eindruck hatten, an der richtigen Stelle für einen solch komplexen Herzfehler zu sein und um eine 2.Meinung einzuholen, suchten wir eine andere Klinik auf. Ein Kinderkardiologe im KH Kaiserslautern untersuchte unser Kind nocheinmal und den bestätigte den komplexen Herzfehler. Er empfahl uns das Kind hier in der Frauenklinik zu bekommen. Es würde gleich nach der Geburt intensivmedizinisch versorgt und schnellstmöglich mit dem Hubschrauber nach St. Augustin in das Kinderherzzentrum transportiert. Das war doch mal ein Lichtblick. Hoffnung, daß unserem Baby geholfen würde. In dieser Zeit, ca. in der 22.Woche hatte ich einen seltsamen Traum: Ich träumte von einem Namen. In diesem Traum sah ich weder Gesichter noch Gegenstände. Nichts, nur der Name Jesaja war da. Der Traum bestand aus einem Namen. Am nächsten Morgen, als ich wach wurde war er noch da. Jesaja ging in meinem Kopf umher, lies mir keine Ruhe. Ich erzählte es meinem Mann, dass unser Baby einen Namen hat. Seit diesem Traum hatte ich ein tiefes unbeschreibliches gutes und sicheres Gefühl in mir, das mir ganz viel Kraft gab. Mit diesem Gefühl, das mir ganz sicher Gott gab, war all die Angst und die Sorge um unser Baby umhüllt mit Zuversicht: Alles wird gut!

Um uns ein Bild von St.Augustin und einer dort möglichen Operation zu machen, vereinbarten wir dort einen Termin, damit der Herzspezialist vorab auf Jesajas Herz schauen konnte. Dieser Arzt versicherte uns, daß es möglich sei, in mehreren Schritten eine Norwood Operation durchzuführen. Alllerdings wäre dies eine schwere, nicht ungefährliche Operation. Hoffnung, es war nicht aussichtslos! Weiter kämpfen und weiter hoffen, daß alles gut ginge. Immer wieder Gott um Heilung gebeten und immer das gute, sichere Gefühl. Bei der Kontrolluntersuchung in der Frauenklinik die nächste Diagnose: Zu viel Fruchtwasser, es stimme möglicherweise etwas nicht mit dem Baby, eventuell Schluckprobleme, Nierenproblem oder ein Defekt in der Speiseröhre. Nierenprobleme wurden gleich wieder verworfen, denn Jesaja pinkelte in diesem Moment unter Ultraschall ins Fruchtwasser. Kontrolluntersuchung in 14 Tagen wegen der Fruchtwassermenge. Der überdimentionale Bauch machte mir ganz schön zu schaffen. Ich bekam schlecht Luft und die Rippen taten mir weh. Ich konnte nur noch aufrecht, fast sitzend im Bett schlafen.

Nach 14 Tagen noch mehr Fruchtwasser. Man müsste es punktieren, es würde ca. 30-40 Minuten dauern. Wieder ein Termin. Bei diesem Eingriff, der wirklich sehr unangenehm war, stand mir wieder, wie bei allen Untersuchungen und der gesamten schweren Zeit mein Mann zur Seite. 1,9 Liter Fruchtwasser wurden der Gebärmutter entzogen und es war immer noch zu viel. Jesaja hatte durch die überdehnte Gebärmutter genügend Platz zum strecken und turnen. Zur Kontrolle mußte ich eine Nacht im Krankenhaus verbringen. Da immer noch viel zu viel Fruchtwasser da war, meinte die Frauenärztin, daß die Geburt wahrscheinlich nicht von alleine los gehen würde. Die Geburt müßte dann ein paar Tage vor dem errechnetem Termin eingeleitet werden. Ich betete und hoffte, daß es von alleine los gehen sollte, denn vor der Geburtseinleitung oder sogar vor dem Kaiserschnitt hatte ich panische Angst. In den letzten Wochen stellten wir uns so gedanklich auf die Geburt und die Zeit danach ein. Wir redeten viel über unser Baby und planten viel.

Am 04.06.06 ging ich abends ins Krankenhaus, weil ich ein leichtes ziehen im Unterleib hatte und ich auch Jesaja weniger spürte. Ich hätte sowieso am 05.06.06 ins Krankenhaus kommen müssen, zum Einleiten der Geburt. Es wurde untersucht und festgestellt, daß mein Muttermund schon geöffnet war. Ich freute mich ,daß es von alleine los ging und wollte wieder nach Hause. Wegen des hohen Risikos, daß mir die Fruchtblase platzen könnte, war das aber nicht mehr möglich. Ich blieb im Krankenhaus. Zeit zum Denken, Freuen und Beten, daß alles gut ginge. Auch dankbar, daß mein Beten geholfen hatte, denn es ging von alleine los. Um ca. 2:30 Uhr musste ich husten. Dabei merkte ich daß Fruchtwasser abging. Da ich nicht aufstehen durfte klingelte ich nach der Schwester, die mich gleich in den Kreissaal fuhr. Der Wehenschreiber wurde gleich angelegt und die Herztöne überwacht. Es war alles in Ordnung, keine Wehen. Ich bat die Hebamme sie solle meinen Mann anrufen, denn ich ahnte, daß es schnell gehen würde. Bei der Untersuchung gab es keine Veränderung. Ich wurde dann um ca. 3:00 Uhr alleine gelassen, denn es passierte im Moment auch nichts. Bis mir plötzlich die Fruchtblase platzte. Ich rief jemand um Hilfe, das viele Wasser hörte gar nicht mehr auf. Ich wurde in einen anderen Raum gefahren und mußte immer noch liegen bleiben. Mein Mann kam ca. Um 4:00 Uhr in die Klinik. Von da an bekam ich leichte Wehen. Um ca. 5:30 Uhr wurden die Wehen enorm stark. Der Muttermund öffnete sich ganz schnell mit 3 Wehen. Jedoch mit jeder Wehe verschwanden die Herztöne von Jesaja. Die Kinderintensivstation wurde informiert, damit sie unser Baby gleich in Empfang nehmen konnten. Ich bekam 3 mal Adrenalin gespritzt, um Jesajas Herztöne wieder zu bekommen. Dann mußte es sehr schnell gehen. Es wurde geschnitten, gedrückt, mit der Saugglocke gezogen, denn es waren keine Herztöne mehr zu hören.

6:00 Uhr: Geschafft, Jesaja wurde geboren. Er hatte die Nabelschnur um den Hals und atmete nicht. In weniger als 10 Sekunden war er abgenabelt und vor die Tür gebracht, in die Hände der Kinderintensivärzte. Stille, nichts zu hören. Wir haben ihn nicht gesehen und auch nicht gehört, kein Schrei, nichts. Ruhig, alles war still, aber mein Gefühl war noch da, alles würde gut, es wäre alles in Ordnung. In der Zwischenzeit wurde ich genäht und in den Bonding Raum gebracht in dem ich und mein Mann warteten bis wir endlich etwas von Jesaja hören. Nach ca.2 1/2 Stunden endlich eine Nachricht, Jesaja lebt. Er wurde untersucht und dabei wurden noch einige Merkmale festgestellt, die auf eine relativ seltene Behinderung hinwiesen. Ihm waren die Nasengänge zugewachsen, sodass sie den Beatmungsschlauch über den Mund zugeführt hatten (Denn Babys können nur durch die Nase atmen). Seine Ohren waren etwas tiefer angelegt, die Hoden waren noch in den Leisten. All diese Dinge waren so unwichtig in diesem Moment. Daß er lebt ,das war am wichtigsten. Wie gerne hätte ich ihn mal gehalten oder schreien gehört, doch schreien konnte er nicht, wegen dem Schlauch im Rachen. Nach dem Gespräch wurde ich auf Station gefahren. Danach ging ich gleich mit meinen Mann auf die Intensivstation nach Jesaja schauen. So süß mit vielen Haaren lag er total erschöpft mit vielen Kabeln und Schläuche verbunden in seinem Glasbettchen. Weinend streichelte ich ihn ganz sacht durch die Glasluke und begrüßte ihn. Wie schön wäre es gewesen ihn zu halten, ihn zu trösten, ihn zu drücken und ihm durch intensiven Körperkontakt meine Liebe zu zeigen. Im Laufe diesen Tages erfuhren wir, daß Jesaja am 06.06.06 nach St.Augustin verlegt werden würde. Ich liess mich am gleichen Tag entlassen, damit ich ebenfalls mit meinem Mann nach St.Augustin fahren konnte. Da wir beide nicht in der Lage waren Auto zufahren hatte uns mein Vater gefahren. Ich hoffte, daß er bald operiert werden und alles gut überstehen würde.


Als wir St.Augustin erreichten erkundigten wir uns erst einmal, ob Jesaja gut angekommen war. Wir waren in einem Nebengebäude untergebracht. Erst als die Besuchszeit begann, durften wir zu ihm. Sein Zustand war stabil, er hatte neue Geräte anhängen, bekam neue Medikamente, neue Ärzte und Schwestern kümmerten sich um ihn. Jesaja wurde hier nochmals mit dem Ultraschall untersucht und mit Medikamenten ruhig gestellt, damit er nicht soviel Schleim produzierte. Trotz Ruhigstellung schaffte Jesaja es immer wieder, seine Augen aufzumachen. Die Merkmale, die Jesaja hatte, wurden nochmals von den Ärzten bestätigt. Jesaja hatte ein CHARGE-SYNDROM. Obwohl wir in der Behindertenarbeit tätig sind, war uns diese Behinderung nicht bekannt. Zu diesem Zeitpunkt konnte man auch noch nicht festellen, wie weit die Behinderung ausgepägt war. Auffällig bei Jesaja war, der Verschluß der inneren Nasengänge, die ihm das selbständige Atmen unmöglich machten, auffällige Ohrmuscheln, die evtl. auf Entwicklungsstörungen im Innenohr hinweisen konnten, Colobome der Augenabschnitte, die ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt sein konnten (jedoch konnte Jesaja uns mit seinen Augen folgen) und da war noch der komplexe Herzfehler. Eine geistige Behinderung bzw. Retardierung war auch nicht auszuschließen.

Wir informierten uns im Internet über diese Behinderung und stellten fest, daß das Spektrum von leichten bis sehr schweren Fällen ging. Man konnte das Ausmaß der Behinderung eben erst im Laufe der Entwicklung feststellen. An einem Morgen wurden wir zum Chefarzt der Kinderherzintensiv gerufen. Er schilderte uns die Situation und stellte uns vor die Wahl, unser Kind in den Tot zu begleiten oder eine Operation zu wagen. Wir entschieden uns für die Operation, denn ihn aufzugeben, ohne etwas zu versuchen, kam für uns nicht in Frage. Nach dem Gespräch wurde uns zugesagt, daß, wenn wir uns dafür entscheiden würden, Jesaja in den nächsten Tagen operiert werden würde. Endlich würde etwas geschehen, denn die Zeit rannte uns davon. Die Operation sollte innerhalb der ersten Woche stattfinden. Ich hatte riesige Angst, daß etwas schief gehen könnte, unser Gefühle schwankten von Minute zu Minute. Dazwischen spürte ich meinen Körper, der eigentlich etwas Ruhe brauchte, denn ich hatte keine Erholungsphase nach der Entbindung. Aber Jesaja war so stark und kämpfte, da durfte ich nicht schlapp machen. Ich musste stark für ihn sein. Da war ja auch noch dieses gute Gefühl. Am nächsten Morgen kein OP sondern ein Gespräch mit dem Herzchirurg. Es war ein ungarischer Arzt der nur Englisch sprach und vom Chefarzt übersetzt wurde. Bei diesem Gespräch fühlte man sich in der Zeit um Jahre zurückversetzt. Dieser Arzt lehnte die OP aus ethischen Gründen ab. Nicht weil die OP zu schwierig wäre, nein er hätte noch einen schwierigeren Herzfehler zu operieren, welcher aber nicht mit einer Behinderung kombiniert sei. Er meinte es wäre kein schönes Leben danach. Wir versuchten ihm klarzumachen, daß es für uns kein Problem sein würde ein behindertes Kind durchs Leben zu begleiten. Nein war die Antwort von diesem Arzt und seinem Kollegen, der nicht anwesend war. Sie würden auf keinen Fall operieren. 5 Tage in der Klinik und dann operiern sie nicht! Der bisherige Weg war schon sehr steinig und jetzt hatten wir einen noch riesigeren Berg vor uns, den wir bewaltigen mussten.

Wir bestanden darauf, daß Jesaja in eine andere Klinik verlegt werden sollte. Berlin meldete sich zurück, daß sie Jesaja operieren würden.

Wieder ein Transport für unser Baby, der nicht ganz ungefährlich für ihn war. Wieder mußte mein Vater nach St.Augustin kommen, um uns nach Berlin zu fahren. Wie froh war ich, daß meine Eltern uns so unterstützten, sie versorgten unsere beide anderen Kinder und fuhren uns überall hin. Es war ein lange Zeit nach Berlin und immer mit den Gedanken bei Jesaja, der mit dem Hubschrauber flog. In Berlin angekommen, sollten wir Unterkunft im Mc Donald Haus haben, jedoch war kein Platz für die erste Nacht und wir verbrachten die Nacht zu zweit auf einer kleiner Couch. Meine Eltern machten sich wieder auf die Rückreise, denn es war eine lange Fahrt bis nach Hause. Endlich Informationen, wann wir zu Jesaja durften. Abermals wurde er untersucht, neu verkabelt, neue Medikamente... das ganze Programm von vorne. Total erschöpft warteten wir, bis wir zu Jesaja durften und mit einem Arzt sprechen konnten. Mein Gefühl es würde alles gut, war wieder stärker geworden. Die Ärzte, die wir in Berlin kennengelernt haben, waren verständnisvolle, einfühlsame Menschen, die uns die ganze Zeit gefehlt hatten. Sie versicherten uns, daß sie alles mögliche tun würden um Jesaja zu helfen. Jesaja hatte in Berlin durch die Umstellung Wasser eingelagert, was aber vollkommen normal wäre.

Am 15.06.06 erfolgte die erste OP. Die Ärzte meinten es würde eine komplizierte ca. 8 Std. lange OP erfolgen. Wir durften vor dem OP Jesaja noch einmal sehen und uns von ihm verabschieden, ihm alles Gute wünschen, ihn einfach nur streicheln und ihm zeigen: Wir sind da! Um uns abzulenken gingen wir in die Stadt. Die Ärzte rieten uns dazu, denn sie würden uns auf dem Handy anrufen, falls etwas sein sollte. Also abwarten bis ca. 18.00 Uhr. Man kann diese Zeit des Abwartens nicht beschreiben. Man funktioniert nur. Schweigsam mit Tränen in den Augen liefen wir durch Berlin. Dann um ca. 13:00 Uhr klingelte unser Handy. Wieder ein Gefühl das man nicht beschreiben kann. Es war das Krankenhaus, die geplante OP konnte nicht durchgeführt werden. Das Herz und all die Gefässe waren so kompliziert, daß sie nur einen Teil operieren konnten, aber zuerst sollten wir in die Klinik kommen. Wieder funktionierten wir und liefen in die Klinik. Die Ärzte erklärten uns, was sie gemacht hatten und, daß morgen nochmal eine kleine OP stattfinden sollte. Und dann erst wieder in ca. 4 bis 6 Monaten. Jesaja lag schon wieder im Kindersaal, so nannten sie die Intensivstation für Kinder. Und wir durften ganz kurz zu ihm, ausser den Kitteln, die wir immer trugen mussten wir jetzt noch Handschuhe tragen, denn Jesajas Brustkorb war noch offen, damit sie im Notfall schnell ans Herz kommen konnten. Als wir ihn sahen war es schon eine Erleichterung, jedoch der Anblick von unserem taferen Baby war erschreckend. Wieder mussten wir aus der Intensivstation, den die Besuchszeit war für heute vorbei.

16.6.06

Wieder durften wir uns kurz vor dem OP von Jesaja verabschieden. Die Ärzte meinten die OP dauerte ca. bis 13:00 Uhr. Da es ein kurzer Eingriff war verbrachten wir die Zeit vor der Klinik und warteten auf das Klingeln des Handys. Wieder warteten wir weinend, fast stumm, daß die Zeit vergeht. Zwischendurch gingen wir immer wieder zur Kapelle und zündeten viele, viele Kerzen an. In der Zeit des Wartens hatten wir immer wieder gebetet. Denn ohne die Kraft, die ich von Gott bekam, hätte ich die Zeit nicht überstanden. Eine Stunde verging und das Handy klingelte. Wieder die Klinik: Der OP würd jetzt doch grösser sein, denn der Professor und der Herzchirurg waren der Meinung, dass man den Norwood- OP doch durchführen konnte. Schock! Denn bei dieser OP wurde Jesaja an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und sämtliche Hauptgefässe des Herzens verlegt. Wieder die unbeschreibliche Zeit des Wartens. Jedes Geräusch, jedes Klingeln von Handys ließ uns aufschrecken. Angst, die Kraft zu verlieren, froh, einen Mensche, den man liebt neben sich zu haben, gegenseitig da zu sei. Mut machen, trösten, aus Vernunft etwas zu essen, um bei Kräften zu bleiben. Immer wieder zwischendurch die innere Stimme: Alles wird gut! Ich war echt froh diese zu hören, um daraus Kraft zu tanken. Endlich der Anruf um 20:00 Uhr, alles ist war gut gelaufen, wir durften noch kurz zu ihm. Die Ärzte erzählten uns von der Muster-OP, und wie sehr zufrieden sie alle waren. Freude, Tränen der Erleichterung, alles wird gut. Etwas erleichtert, aber total erschöpft gingen wir ins McDonald-Haus um uns hinzulegen. Vorher noch mit unserer Familie telefonieren. Dieses Telefonat führten wir jeden Abend und oftmals auch tagsüber. Mitten in der Nacht ca. 24:00 Uhr der Anruf wir mussten bitte sofort kommen, Jeasaja würde sterben, sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Wir liefen so schnell ich laufen konnte zur Klinik. Nicht zu vergessen, daß ich vor 10 Tage entbunden hatte, meine Naht noch nicht ganz verheilt war. Mit den Nerven total an Rande des Zusammenbruchs in der Klinik angekommen, war Jesaja im OP, denn sie versuchten das Herz, das in der Zwischenzeit wieder angefangen hatte, etwas zu schlagen, mit der Herz-Lungen-Maschine zu entlasten. Der Herzchirurg kam von zu Hause und operierte Jesaja in dieser Nacht nocheinmal. Wir warteten im Aufenthaltsraum ca. 3 Std. Total müde und trotzdem hell wach, bis endlich jemand kommen sollte und uns sagen was los war. Immer wieder betend, immer nach der Stimme rufend, die mir sagt alles wird gut. Endlich um ca.4:00Uhr eine Nachricht, Jesaja hing nun an der Herz-Lungen-Maschine und war wieder stabil. Wir durften ganz kurz zu ihm, ihn streicheln, ihm gut zureden, ihm zeigen wir sind für dich da. Wir würden immer für ihn da sein, wir würden gemeinsam den steinigen Weg gehen. Total erschöpft legten wir uns in der Klinik auf eine Couch, um uns etwas auszuruhen, bis zu Beginn der Besuchszeit. Ich wäre am liebsten rund um die Uhr geblieben, leider mußten wir uns an die Besuchszeiten halten, die waren von 10:00 bis 14:00 Uhr und von 15:00 bis 20:00 Uhr. Der Anblick war noch erschreckender, denn sein Gesicht und sein gesamter Körper waren aufgeschwemmt und aus seinem Körper kamen mehrere Schläuche die das Blut zu einer Art Herz-Lungen-Maschine transportierten, sodass man kaum noch Platz hatte an seinem Bett. Aber trotzdem heilfroh, daß er lebte. Hoffnung und mein gutes Gefühl gaben mir weiter Kraft. Es tat so verdammt weh, zuzusehen, ohne etwas tun zu können. Da zu sein und ihn über alles unsere Liebe zu schenken war das einzige. Jesaja wurde zwei mal täglich geröngt und mit dem Ultraschall untersucht, ob keine Hirnblutungen auftraten. Die Ärzte meinten, daß sie die Maschinen ungefähr 3-4 Tage verantworten könnten, jedoch bei Hirnbluten würden sie die Maschinen sofort abschalten. Jeden Tag wurde der Versuch gestartet, die Maschine von der Leistung herunter zu fahren, um zu sehen ob Jesajas Herz wieder alleine stark genug schlagen konnte. Jedoch ohne den erwarteten Erfolg. Am dritten Tag mit der Maschine kam es zu starken inneren Blutungen, so stark, daß sie zu zweit Blutkonserven zugeführen mussten. Es war so schlimm mitanzusehen, wie sein kleiner Körper aus allen Anstichstellen und Wunden blutete. Wieder Not-OP, die Hauptblutungsstelle konnte gestoppt werden. Welch ein Wunder, wie stark er war, wie er kämpfte. Wieder neue Hoffnung und Kraft.

Am vierten Tag an der Herz Lungen Maschine, wurde uns gesagt, daß heute der letzte Versuch gestartet würde die Maschine auszuschalten. Entweder schläge sein Herz heute oder er wird heute versterben. Wir verabschiedeten uns wieder von Jesaja, aber immer noch mit der Hoffnung alles würde gut. Beten, hoffen, flehen, um Heilung gebettelt. In meinem Kopf lief in diesem Moment immer das selbe Tonband ab: Herr hilf uns, lass sein Herz schlagen. Jesaja kam in den OP. Mein Körper und mein Geist war wie in Trance, ansonsten hätte ich es nicht ausgehalten. Jesaja kam wieder aus dem OP mit einer anderen Maschine, denn beim OP haben sie bemerkt, daß seine Lungen eingefallen waren, sodaß sein Herz gar keine Möglichkeit hatte alleine zu schlagen. Weiter hoffen, beten und Gott um Heilung bitten. Dieses Gerät bekam er am Donnerstag den 22.06.06 und es sollte bis Samstag den 24.06.06 seine Lungen unterstützen. Dann wäre aber entgültig Schluß mit den Maschinen, länger wäre dies nicht mehr zu verantworten gewesen. Diese gesamte Zeit war so steinig, es ging immer auf und ab, sie ist nicht in Worte zufassen. Man mochte die Hoffnung nicht verlieren, man mochte weiter kämpfen. Jesaja kam sooft wieder aus dem OP, das gab uns immer wieder neue Kraft. An diesem Donnerstag war mein alles wird gut Gefühl weg. Ich war leer, ich empfand nichts mehr, war stinkwütend auf Gott und sagte laut vor mich hin, daß ich nicht mehr kann, ich rief zu Gott: Wenn du Jesaja haben möchtest, dann dann nimm ihm jetzt. Ich wollte an diesem Tag nicht mehr beten meine Hoffnung war weg, ich war leer. In mir passierte etwas, ohne es beschreiben oder kontrolieren zu können. Am Abend nach der Besuchszeit gingen wir wie jeden Abend total erschöpft ins Bett und versuchten zu schlafen. Am nächsten Morgen beim Frühstück rief das Krankenhaus an, Jesajas Herz schlug immer schwächer, wir sollten gleich kommen. Tausend Gedanken gingen mir in diesem Moment durch den Kopf. Ich schimpfte, betete, bittete Gott an für Jesaja dazusein. Im Krankenhaus angekommen schlug das Herz nur noch ganz schwach. Wir standen am Bett und schauten auf den Monitor und warteten auf Ausschläge, jedoch vergebens. Wie gerne hätte ich Jesaja auf meinen Arm genommen, um ihn zu spüren und um ihn mich intensiv spüren lassen zu können. Die Ärztin ließ uns für ca. eine ½ Std mit Jesaja alleine. Es ist nicht auszuhalten, zuzusehen, wie ein Kind stirbt. In der Zwischenzeit kam noch die Seelsorgerin, um Jesaja zu taufen. Dann ging alles wie in Trance weiter. Jesajas Herz schlug nicht mehr, nur noch die Ausschläge der Maschine. Jesaja war gestorben, sein Herz war still, so still wie es in mir war. Die Ärztin kam und schaltete alles aus.

Alle waren still geworden, denn keiner verstand, warum Jesaja gestorben war, denn für den das Versagen des Herzens gab es keinen medizienischen Grund. Es war und ist nicht zu erklären. Die Ärztin bat uns, nach draussen zu gehen, denn sie mußte noch den Brustkorb zunähen. Wir hatten die Ärztin darum gebeten, daß wir ihn waschen und anziehen durften und ihn dann das allererste Mal in den Arm zu nehmen. Mein Mann und ich taten es gemeinsam und wechselten uns ab beim halten. 1-2 Std hielten und steichelten wir ihn. Jesaja wurde dann in einem kleinen weißen Sarg abgeholt und weg gebracht. Wir gingen dann ins McDonald Haus, packten unsere Sachen und fuhren mit dem Taxi zum Bahnhof und fuhren nach Kaiserslautern. Ich wollte nur noch ganz schnell nach Hause zu meinen beide Kindern und Eltern. Wir kamen in Kaiserslautern um Mitternacht an inmitten des WM-Fiebers. Tausende fröhliche Leute und wir mittendrin. Wir wurden von meinem Vater und unserem großen Sohn abgeholt. Schnell nach Hause und warten auf Samstagmorgen, denn da kam Jesaja von Berlin zu uns in den Ort. Er wurde in der Leichenhalle, zu der wir einen Schlüssel bekamen, aufgebart. Es tat irgendwie gut, ihn noch sehen zu dürfen, einfach in seiner Nähe zu sein. Die Vorstellung, ihn bald nicht mehr zu sehen oder ihn zu berühren, empfand und empfinde ich immer noch sehr schlimm. Ich habe Angst etwas zu vergessen, wie er aussah, wie er roch, einfach alles an ihm wollte ich für immer behalten. Bis Mittwoch zur Beerdigung empfand ich nur Wut und Enttäuschung für Gott. Wozu dieses alles wird gut Gefühl , das ich seit Jesajas Tot nicht mehr verspürte? Mein Körper fühlte sich immer noch leer, ich funktionierte einfach nur noch. Die Beerdigung war sehr schwer für mich, die eigene Trauer, die der Kinder, die meiner Eltern und Verwandten und Bekannten zu sehen und zu ertragen. Die Trauer drückte mich fast zu Boden, doch ich richtete mich immer wieder auf. Es war aber auch schön zu sehen, daß so viele liebe Menschen trotz der traurigen Situation uns bei unserem schweren Weg zum Grab begleiteten. Nach der Beerdigung gingen wir nach Hause, wo Jesaja glücklich und geliebt aufwachsen sollte. Das Kinderbett im Wohnzimmer war leer, so leer wie ich mich fühlte ohne meine innere Stimme. Doch es ist wunderbar, denn dieses Gefühl „alles wird gut, es ist Ok“, kam zu mir zurück. Ich danke Gott für dieses Gefühl für diese innere Stimme, denn ohne sie hätte ich nicht die Kraft das Geschehene zuverarbeiten. Ich versuchte nach und nach mich in den Alltag zu bringen. Schwer war es für mich, als mein Mann zur Arbeit und die Kinder zur Schule gingen. Ich war alleine, hatte viel Zeit zum Denken und meine Gedanken legten mich lahm. Der Tag, an dem ich wieder arbeiten gehen mußte, kam immer näher. Ich hatte große Angst mit meinen Emotionen umzugehen. Durch meine innere Stimme, war ich stark genug meine Arbeit wieder zu beginnen. Der Lebensweg muß nun mal weiter gehen.........

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